Lotta Love

2022, Auszug aus der Kurzgeschichte. Im Ganzen zu hören als Podcast von Silke Siegel auf wasliestdieda.de

2022, excerpt from the short story. Listen to the whole story as a podcast by Silke Siegel at wasliestdieda.de

„Ich mag dich auch, und ich steh auf dich.“

Jemand kotzt neben uns in einen Blumentrog. Einmal traue ich mich, offensiv zu sein. Eigentlich sollte sie mich jetzt ganz verliebt anblicken, blaue Augen unter dem blonden Pony mich an schmunzeln, das Weiß in ihren Augen kurz aufblitzen. Ihre Lider sollten sich senken, unsere Oberkörper nach vorne bewegen, langsam, bis unsere Gesichter sich zur Seite geneigt haben, die Münder nah genug sind für einen sanften Griff in den Nacken.

Ich habe seit November nicht mehr geschmust.

Lotta und ich trotten in Richtung Bahnhofsmarkt. Die Nacht fühlt sich alt an, aber es ist halt schon wieder so früh dunkel. Meine Finger sind klamm um die Bierdose gekrallt. Ich mag schon wieder rauchen, aber sie hat aufgehört.

In meinem Kopf kreist die Frage, wer von uns beiden sich zuerst verknallt hat. Oder, ob mein Hirn schon wieder durchdreht. Ich denke an alle Fragen, die ich ihr stellen will. An alle Details meines verrückten Wochenendes, die ich mit ihr teilen möchte. Ich denke noch nicht über das Warum nach. Darüber, dass ich mich dauernd fremd verliebe. Das kommt erst wieder am Freitag im Rahmen der Paartherapie mit Mäcs. Seit Lotta und ich uns wieder getroffen haben, gleicht mein Alltag einem Kettenkarussell. Ich bin schwindelig.

Am Wochenende bin ich ohnehin wieder allein. Ich verabscheue dieses „Bergsteigen“ mit den Leuten aus dem Dorf. Ich wohne doch nicht in der Stadt, um mich bei jeder Gelegenheit mit der Moped-Clique aus den Neunzigern zu treffen. Sie hacken auf ihresgleichen herum, versuchen sich mit schlechten Witzen über die andern zu stellen und biegen, mit zunehmendem Schnapskonsum, am Ende immer in die Straße der Erinnerung ab. Aus den gleichen Gründen, aus der gleichen Not heraus, wie damals. Mäcs fährt dennoch mit.

„Hat’s dich eh nicht erwischt?“

Ich merke, wie ich rot werde. Doch. Diesmal bin ich wirklich verknallt. Im Schal versteckt, beiße ich mir in die Unterlippe und greife in die Manteltasche.

Sie mustert meine Stiefel: „Oh, schau mal, ein bisserl schon“.

Ja danke, Mahlzeit! Es sind sogar Bröckchen auf den Schuhkappen. Meine Hand greift, neben den Kippen, die ich gesucht hätte, auch in zwei benutzte Taschentücher. Ich knie mich auf den kalten Gehsteig und schmiere damit über das schwarze Leder. Ich hoffe es bleibt nichts, aber wahrscheinlich riecht sie es. Schnell stecke ich mir eine Zigarette an.

Er wird halt wieder jammern. Wo ich da wieder reingestiegen bin. Wo ich wieder unterwegs war bis ewig spät. Dass ich mich wieder angesoffen hab. Und mit wem. Und warum. Und wieso ich meine Schuhe nie putze. Weil ja er immer alles sauber machen muss bei uns zuhause. Scheiß Paartherapie.

Der Rauch lässt sich in der kalten Jahreszeit so geil rauspusten. Ich blicke dem hellen Rauchstrahl nach. Über uns ist es sternenklar, wahrscheinlich. Hier an der Tangente muss man sich halt die Milchstraße vorstellen. Partywütige Studis strömen vorn an der Kreuzung über die Vierspurige. Wenn ich Sterne sehe, ist es immer gut. Das war schon mit siebzehn so. Kassiopeia schauen und schmusen. Am Sportplatz neben dem Altenheim. Am Parkplatz neben dem Klowagen. Mäcs war damals mein großer Fang. Meine erste Liebe. Meistens war ich damals betrunkener als heute.

Meine zweite Bierdose poltert zerquetscht in den nächsten Mistkübel. Lotta und ich sind seit sieben unterwegs, meine Nase erfriert bald unter der schweren Brille. Lotta sprach viel über ihre Freundin, ihr gemeinsames Kind. Sie fand es witzig, dass ich Katzen habe. Wir haben beide oft nachgefragt. An der Ampel trennt sich unser Heimweg.

„Sehen wir uns bald wieder!“

„Ja fix. Auf bald…“

Sie packt meinen Kopf in beide Hände und küsst mich auf den Mund.

(…)